Zelluläre Automaten - Bakterien

Wachstum und Ausbreitung von Bakterien

Wir wollen diese Wachstumsform an zwei Beispielen kennen lernen, der sozialen Amöbe Dyctyostelium discoideum und ausgewählten Bakterienarten.

Bei Dyctyostelium discoideum handelt es sich um einen Schleimpilz, bestehend aus Einzellern (Bild N° 1).

Amöbe
Bild N° 1: Dyctyostelium discoideum

Die Amöben leben vorerst gut versorgt in der Humusschicht des Waldes. Sie vegetieren als Einzelleben umher. Diese Phase heißt daher auch vegetatives Stadium. Die soziale Amöbe durchlebt in ihrem Zyklus von Leben und Sterben allerdings auch eine zweite Phase. Diese Phase wird als vielzelliges Stadium bezeichnet, da sich die Amöben zum Schleimpilz zusammenschließen. Die Zellen differenzieren sich dann zu den sogenannten Prespore (Fruchtkörper) und Prestalk (Stiel) Zellen.

Doch was führt die Amöben dazu ihr lohnendes Einzelleben im Namen der Gesellschaft aufzugeben? Meistens führt ein akuter Nahrungsmangel einer Amöbe dazu, dass sie das Hormon cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat) ausstößt. Dieses bewirkt ein sofortiges Zusammenziehen der Zellen. Es ist bekannt, dass dieses cAMP in Wellenfronten auftaucht, ähnlich der Belousov–Zhabotinsky–Reaktion. Durch diese konzentrischen cAMP Wellen können sich die Amöben hin zu einem gemeinsamen Mittelpunkt orientieren.
Das Wellenmuster ist damit zu erklären, dass die Amöbe auf ihrer Zellmembran zwei verschiedene Arten von Rezeptoren für cAMP besitzt.
Die Amöben beginnen, falls sie über ihren Rezeptor 1 das cAMP wahrnehmen, mit seiner Produktion. So wird die Welle laufend verstärkt und trägt so über große Strecken Information zum Zusammenzug. Ohne Unterbruch dieser Wellen ist es für eine Zelle äußerst schwer zum Mittelpunkt zu gelangen. Daher weist die Oberfläche der Amöbe auch noch den anderen Rezeptor (2) auf. Ab einer gewissen cAMP Konzentration hemmt dieser die Produktion (Bild N° 2).

cAMP

Bild N° 2: Schema der Wellenentstehung durch cAMP

Das Wechselspiel dieser beiden Aufnahmeorgane bringt periodische Wellenmuster zum Vorschein. Durch diese Schübe kann die Amöbe schneller die anderen ausmachen.
Die Amöben schließen sich dann zum sogenannten Slug. In diesem wurmähnlichen Gebilde finden sich die Prespore- und Prestalkzellen zusammen. Der Slug bewegt sich nun einem besseren, nahrungsreicheren Ort an der Oberfläche zu. Die Prestalkzellen wandern entgegengesetzt kreiselnd in der Spitze nach oben, die Presporezellen bewegen sich in Richtung des Slugs. Dieses Bewegungsmuster ähnelt einer dreidimensionalen Wellenfront der Belousov-Zhabotinsky-Rekation. Die Amöbe bildet im Slug ihre Scheinfüßchen aus, um durch chemische Analyse ihren Weg zu ersuchen. Ist erst ein guter Platz gefunden, stellen sich die Prestalkzellen auf und bilden mit den Presporezellen, welche die Sporen übernehmen, den Schleimpilz. Durch Insekten oder den Wind werden diese Zellen nun weggetragen um an einem anderen Ort eine neue Amöbenkultur zu gründen.
Man nennt diese Kleinstlebewesen soziale Amöben, da die Prestalkzellen nachher alle absterben. Das heißt, ein Teil der Population opfert sich, um den anderen die Möglichkeit der Pilzformung zu geben.

Lebenskreislauf Soziale Amöbe

Bild N° 3: Der Lebenskreislauf der sozialen Amöbe

Nach der Betrachtung der sozialen Amöbe wenden wir uns den Bakterien zu.
Wenn wir an Bakterien denken, fällt uns auf, dass sie kaum als Einzellebewesen vorkommen. Sie siedeln sich in Kolonien an. Um eine Kolonie zu gründen, braucht es zweierlei: eine Kommunikation und die Möglichkeit sich fortzubewegen.
Die Bakterienkolonien sind meist undefinierbare Haufen von Leben. Was kann diese Haufen dazu bewegen, eine Struktur oder ein Muster zu entwickeln? Die Forscher Eshel Ben-Jacob, Ofer Shochet und Adam Tenenbaum untersuchten diese Musterbildung am Bakterium Bacillus subtilis. Normalerweise, wenn wir Bakterien züchten, siedeln wir diese auf einer möglichst nährreichen Agarlösung an. Die oben genannten Forscher setzten den Nährstoffgehalt der Nährplatte herab und siehe da, die vorher undefinierbare Masse der Kolonie begann ein Muster auszubilden.

Bakterienmuster (Bild 4) Bakterienmuster (Bild 5)

Bild N° 4 und 5: Bakterienkolonien mit Muster

Welches ist aber der Grund, dass Nährstoffknappheit zur Musterbildung führt? Die Bakterien haben durch diese Verzweigungen einen größeren Wirkungsradius. Es braucht weniger Zellen um den Raum zwischen den Nährstoffteilchen zu überbrücken, als wenn all die Zwischenräume aufgefüllt werden müssten.
Die gesamte Kolonie erkennt die Nährstoffknappheit durch Kommunikation der einzelnen Zellen. Diese kann durch direkte Zell-Zell-Kontakte stattfinden oder mit Hilfe chemischer Stoffe oder Hormone oder durch den Austausch von DNA.
Wenn eine extreme Verschlechterung der Lebensbedingungen auftaucht, kann dies zu einer Mutation führen. Es ist auch möglich, dass diese Mutanten mehr Kommunikationsmöglichkeiten besitzen. Dies hängt von der Art der Mutation ab.
Dass die Nährstoffknappheit durch eine Zerklüftung der Kolonieränder zu überbrücken ist, hat jedes Bakterium in der DNA verankert. Diese dendritischen Verzweigungen haben wir auch bei einer Zinksulfat-Anlagerung angetroffen.

Bakterienkolonie Zinksulfatblätter

Bild N° 6 und 7: Bakterienkolonie und Zinksulfatblätter

Doch wie kann man das Wachstum der Bakterien steuern?
Dazu gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Man kann beispielsweise die Struktur des Nährbodens verändern, dessen Nährstoffgehalt herauf oder herab setzten, die Kommunikation der Bakterien verändern oder schlicht und einfach deren Bewegungsfreiheit steuern. Es ist immer wieder verblüffend, die Ähnlichkeit zwischen lebendigen und unbelebten Mustern zu sehen. Es zeigt, dass die Musterbildung ein universeller Bestandteil der Natur ist.
Ähnliche Strukturen erhalten wir mit dem Programm aus dem Kapitel "Ablagerungen und Anlagerungen". Diese entsprechen aber nicht dem gleichen Konstruktionsprinzip.
Wichtige Komponenten für eine Simulation sind: Das Muster wird durch Zellteilung ausgebildet, der Untergrund ist überall gleich beschaffen und es darf eine Kommunikation zwischen den Zellen stattfinden. 
Die Zellteilung kann man simulieren, indem man für den Nährstoffgehalt des Bodens eine Variable und für den Nährstoffverbrauch einer Zelle eine Variable angibt. Die Zelle entnimmt dem Boden nun nach je einem diskreten Zeitschritt eine definierte Menge an Nahrung.
Insofern dass genug Nahrung vorhanden ist, teilt sie sich in eine noch nicht besetzte aber ansonsten zufällig gewählte Richtung. Ist der Nährstoffgehalt des Bodens aufgebraucht, findet keine Teilung mehr statt. Hier könnte man eine Mutation einbauen, bei welcher die Zelle ein anderes Nahrungsmittel braucht, aber in unserem Beispiel soll es ohne diese Rettungsfunktion stattfinden. Es ergeben sich Bilder von Bakterienkulturen. In Bild N° 8 herrscht eine relativ hohe und in Bild N° 9 eine sehr geringe Nährstoffkonzentration.Beide Kolonien sind in gleich vielen Zeitschritten gewachsen.

Kolonie mit reichlich Nahrung Kolonie mit wenig Nahrung

Bild N° 8 und 9: Computerschemata des Wachstums von Bakterien

Nun kann man die Bakterien in ihre digitale Arena lassen und den Kampf ums Muster angehen.
Wir haben ein Modell geschaffen, in dem keine Kommunikation stattfindet. Da sich die Bakterien untereinander verständigen, könnte man ein solches Modul auch noch einbauen. Hierfür lässt man Zellen in einem vordefinierten Bewegungsrahmen umherschwirren. Sie treffen nun mit einer definierten Wahrscheinlichkeit auf die Kolonie, die sich nach einer gewissen Anzahl Treffern mit dem Wanderer verbindet und so das Muster ausbildet. Die Zellen lagern sich also nicht mehr direkt an, sondern erst durch diesen Zählprozess. Diesen Zählprozess können wir als Gedächtnis ansehen. Die Kommunikation ist die Kollision der Wanderer mit der Kolonie. Es findet eine Zell-Zell Kommunikation statt.
Die so entstehenden Bildern entsprächen dem Wachstum von Bacillus sublis.
Das Gebiet der Musterbildung im Rahmen der niederen Lebensformen ist schier unüberschaubar. Die Beispiele sind als Schema gedacht, da die Wachstumsprozesse meist ähnlich ablaufen. Wir hoffen durch diese zwei Beispiele einen Anreiz zum selber Forschen gegeben zu haben.